Wer glaubt, dass die Deutschen inzwischen komplett aus Russland ausgereist sind, hat sich vertan: Diesseits und jenseits des Ural-Gebirges leben heute locker eine halbe Million Menschen mit deutschen Wurzeln. Ein Teil von ihnen spricht immer noch Deutsch und/oder einen der Dialekte bzw. Plautdietsch. Bei wem aus durchaus nachvollziehbaren Gründen die deutschen Vokabeln aus dem Kopf gefallen sind oder wer von seinen Eltern überhaupt noch nie ein Wort in deren "Muttersprache Deutsch" gehört hat, hat heute in Russland überraschend gute Chancen, die eigene Familiengeschichte sprachlich aufzupeppeln.
Nicht nur in Moskau, auch an vielen anderen Punkten des wahnsinnig weiten Landes gibt es Personen und Institutionen, die sich zum Ziel gesetzt haben, den aktiven Gebrauch der deutschen Sprache in Russland zu fördern. Ich meine jetzt nicht nur die Lehrer an den Schulen oder die Akademiker an den Universitäten. Es sind vor allem die Selbstorganisationen der Deutschen in Russland mit ihrem Dachverband IVDK, der in den letzten Jahren selbstbewusster und einflussreicher geworden ist und inzwischen zur dritten "Internationalen wissenschaftlich-praktischen Sprachkonferenz" eingeladen hat. Gemeinsam mit Vertretern aus Politik, Wissenschaft und aus der russlanddeutschen Gesellschaft verabschiedete man auch diesmal wieder eine Resolution, die zum großen Teil wohl auch umgesetzt wird.
Diesen Eindruck habe ich jedenfalls, wenn ich mir anschaue, wieviel seit der ersten Konferenz dieser Art im Jahr 2009 geschehen ist. Da ist nicht nur die ständig wachsende Zahl an Projekten, in denen z.B. attraktive und handlungsorientierte Sprachangebote für Jugendliche angeboten werden oder ein effektives Netzwerk sowohl zwischen den Regionen als auch zwischen Praktikern und Theoretikern immer weiter ausgebaut wird. Was mittel- und langfristig ein wirklich großer Gewinn für die deutsche Sprache in Russland ist, ist der "Sprachrat der Selbstorganisation der Russlanddeutschen", der im Zuge dieser Konferenzen entstanden ist und bereits viel in Bewegung gebracht hat. Das Motto der diesjährigen Deutsch-Konferenz in Moskau lautete "Deutsche in Russland: Sprache der Minderheit in der Gegenwart". Dabei sollten Potenzial, Prioritäten und Perspektiven mit besonderem Blick auf Mehrsprachigkeit und ethnokulturelle Bildung ausgelotet werden.
Gemeinsam mit Alexander Reiser (Berlin) und Marina Stepanov (Münster) war ich als Vertreter der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland (Stuttgart) dabei. Dass ich auch dieses Jahr wieder auf Plautdietsch-Sprecher in Moskau gestoßen bin, sogar unter den Mitarbeitern des IVDK, hat mich natürlich besonders gefreut! Die Konferenzsprachen waren Deutsch und Russisch, ganz im Sinne der geforderten Mehrsprachigkeit. Was ich vermisst habe, war die deutsche Version der gemeinsam formulierten Resolution am Ende der Konferenz. Bei den guten Konferenzdolmetschern, die anwesend waren, wäre eine Übertragung leicht möglich gewesen. Mit der niederdeutschen Version habe ich natürlich erst gar nicht gerechnet...
Die Konferenz fand vom 27. April bis zum 1. Mai 2013 in Moskau in den Räumlichkeiten der Deutschen Botschaft und des IVDK bzw. des Deutsch-Russischen Hauses statt. Sie wurde deutscherseits u.a. vom Bundesministerium des Innern und russischerseits u.a. vom Ministerium für Regionalentwicklung gefördert.
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